Die Frage ist einfach und klar. Bei der Antwort zögern wir als evangelische Christen aus gutem Grund. Wir haben aus Fehlern in der Kirchengeschichte gelernt, wollen uns nicht selbst überschätzen, wollen keinen Druck ausüben … Als Antwort auf die Frage: “Wozu gibt es Kirche?”, bleibt dann aber oft nur ein sehr allgemeines: “Weil sie sich sozial engagiert”, oder ein fast resignatives “Das muss jeder selbst entscheiden”.
Zwei konkretere Gründe für Kirche und für eine Kirchenmitgliedschaft, die wir fröhlich und aktiv weitersagen können, möchte ich hier anbieten und damit zur Diskussion anregen.
I. Es gibt Kirche,
weil es Gott gibt.
Ob es Gott als höchste, selbstständige und wirksame Macht im Universum überhaupt gibt, ist umstritten.
Die Naturwissenschaft hat Gott jedenfalls aus allen Denk- und Erklärungsmustern per Definition ausgeschlossen. Und da der naturwissenschaftliche Fortschritt beeindruckend ist, scheint diese Gott ausschließende Denkvoraussetzung gut zu funktionieren. Wir brauchen Gott nicht, um Brot zu backen oder Flugzeuge zu bauen. Das allein ist aber kein Beweis, dass es Gott nicht gibt. Es ist genauso gut ein Hinweis, dass Gott es nicht nötig hat, gebraucht zu werden.
Beweise sind zudem kein hinreichendes Kriterium, um etwas zu glauben. Ein Beispiel:
Kann ich beweisen, dass Eltern ihre Kinder lieben? Ich kann im gewissen Maße empirisch messen, ob Eltern ihre Kinder füttern, pflegen, beschützen … Aber ein Kind, dem die Eltern eine Kinokarte oder ein Eis als Vorspeise verwehren, verbucht das möglicherweise sehr lautstark als Beweis: “Ihr liebt mich nicht.” Erst mit einer gewissen Reife wird es verstehen, dass es die Eltern genau mit diesem Verhalten gut gemeint und gemacht haben. Bis zu diesem Verstehen trägt allein der Glaube an die Liebe der Eltern das Kind durch die Krise. Wenn das Kind an die Liebe glauben kann und glaubt, wird es aber Hinweise suchen, die es in diesem Glauben bestärken. Und in den meisten Fällen auch finden. Leider nicht immer. Und es ist tragisch, dass der Glaube des Kindes von Eltern missbraucht werden kann. Der Missbrauch von Glauben ist dennoch kein Grund den Glauben an elterliche Liebe generell abzulehnen.
Tatsächlich wäre ein Beweis auch kein Grund zu glauben. Vielmehr braucht es zuerst den Glauben, als die notwendige Kraft um Hinweise zu suchen und zu finden, ob mein Glaube mich wirklich trägt. Ein praktizierter Glaube ist ein vielfach erproptes Mittel, die Wirksamkeit Gottes zu überprüfen. Denn natürlich braucht der Glaube Vergewisserung – und auch Korrekturen durch das tatsächliche Leben.
Christ*innen leiten ihren Glauben von den biblischen Beschreibungen Gottes ab. Also von menschlichen Erfahrungen aus mehr als einem Jahrtausend Zeitgeschichte. Im geschichtlichen Kontext eines kleinen Volkes der Hebräer bis zu jenem Punkt der Geschichte, in der ein jüdischer Rabbi mit Namen Jesus, die Denkmuster über Gott und die Religion für bislang weitere 2000 Jahre prägt. Dieser Jesus hat eine Gemeinschaft gestiftet, in der sich der Begriff von Kirche als Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen in immer wieder neuen Ausprägungen weiterentwickelt.
Die unverbindliche Frage, ob es einen Gott gibt, trägt dabei nichts aus. Entscheidend ist von welchem Gott ich rede und wie ich an ihn glaube. Sogar die Aussage: Gott gibt es nicht – ist eine sehr persönliche Glaubensaussage, eine Annahme, auf die ich mein Handeln gründe. In diesem Sinne gibt es keine Gläubigen und Ungläubigen, sondern nur unterschiedlich Glaubende. Aber auch die Aussage: Gott gibt es – ist nur ein Kofferbegriff und solange leer, bis ich ihn mit konkreten Erlebnissen und Deutungen also mit Erfahrungen fülle. Meine persönliche Antwort an welchen Gott ich glaube, ist relevanter, als eine Diskussion, ob es Gott gibt.
Als Christ*in (be)gründe ich mich mit einem dreigliedrigen Bekenntnis: Zu Gott als Ursprung und Schöpferkraft der materiellen Welt. Zu Gott als Selbstoffenbarung in JHWH*, der die Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei führt, der in den Propheten Gerechtigkeit und Schutz der Schwachen fordert und der in Jesus die Macht der Auferstehung sichtbar werden lässt. Und zu Gott als Geistkraft, die mich in eine Gemeinschaft ruft, die sich immer wieder neu mit Gott und untereinander verbindet, um diese Welt zu prägen und zu gestalten.
II. Es gibt Kirche,
weil zum Christsein die Gemeinschaft dazugehört.
Glauben ist eine sehr persönliche aber keine Privatsache. Es gehört zu den modernen Irrtümern, dass Individualismus unabhängig macht oder machen könnte. Leben und auch Christsein ist eine Gemeinschafts- und öffentliche Aufgabe. (:)
Ob der kirchengeschichtlichen Irrtümer willen betone ich: Kirche ist keine heilsnotwendige Voraussetzung für die Liebe Gottes. Kirche ist eine Folge und Ausprägung dieser Liebe. Genauso wie Familie nicht die notwendige Voraussetzung zum Groß- und Älterwerden ist, aber ein wichtiger und hilfreicher Schutzraum, eine Ausprägung für die Liebe in der Erwachsene und Kinder zusammen besser leben können als alleine. Vielfalt in den konkreten Formen sei Willkommen – Beliebigkeit ist aber kein Ausdruck von Freiheit. Genauso wenig, wie die bürgerliche Kleinfamilie alleinseligmachend ist, genausowenig gibt es nur eine Form, Kirchengemeinde zu sein. Es geht eben nicht um moralische Bewertungen, sondern um den Mut, konkret zu werden und das heißt, mitzugestalten.
Kirche als Ausprägung der Liebe Gottes braucht die einzelnen Christ*innen, die sich in verbindlichen Formen zusammentun. Fehlt der Beitrag der Einzelnen ist das schmerzlich und gefährdet unser Zusammenleben auch als Gesellschaft.
Bekennende Atheisten mögen das anders sehen. Opfer von kirchlichen Fehlverhalten haben alles Recht, zu protestieren. Kirche darf weder anmaßend sein, noch Menschen missbrauchen. Kirche darf aber selbstbewusst für einen guten Gebrauch eintreten und werben. Zu der Freiheit aller Einzelnen gehört auch der Mut und die Anstrengung, einen Raum der Freiheit gemeinsam zu gestalten.
Christsein ist bunt und vielfältig. So wie das DU mir hilft, zum ICH zu werden, hilft auch die Gemeinschaft mir zu einem persönlich geprägten Christsein. An einer gemeinsamen Sprache werde ich sprachfähig, in gemeinsamen Ritualen finde ich Resonanz, in einem Netzwerk trage ich zum Halt bei und werde gehalten. Individueller Glaube und Gemeinschaft schließen sich nicht aus, sondern werden in der Verbindung ganzheitlich.
Zusammenfassung
Kirche ist nicht beliebig, sondern eine konkrete Lebensform. Sie praktiziert gemeinschaftliche Rituale der Frömmigkeit, teilt das Eintreten für Frieden, Gerechtigkeit & soziales Engagement und setzt sich ein für einen respektvollen Umgang mit der Schöpfung – als Konkretisierung des Glaubens an Gott. Unser Gott ist ein Gott des Friedens und der Gerechtigkeit, der diese Welt und alle Lebewesen liebt. Wir sind Menschen und brauchen Rituale, die uns mit Gott verbinden und vergewissern, stärken und zum Handeln ermutigen.
Kirche ist ein öffentliches Bekenntnis zu diesem Gott. Sie leitet sich nicht von Werten ab, die ohne Gott gefunden werden müssten. Sie begründet sich nicht von politisch errungenen Menschenrechten, selbst wenn sie ihnen zustimmt.
Kirche antwortet auf Gott als höchste, selbstständige und wirksame Macht. Sie begründet ihr Handeln als Ableitung von Gottes Wirken. Das evangelische Profil versucht das so gut und authentisch wie nur möglich abzuleiten von der Liebe Gottes, dem Wirken Jesu und der Inspiration der Heiligen Geistkraft.
Christ*innen, die das leben und davon erzählen, die sich ergänzen und stärken, die Kirche sind und zur Kirche einladen, tun unserer Gesellschaft gut.
Anmerkung:
*JHWH ist ein hebräischer Gottesbegriff und bedeutet: “Ich bin der: ich werde sein” = eine Zusage Gott ist mit dir. Die Bibel: 2 Mose 3,14
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