Transformation der Kirche

Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die wichtigsten Aufgaben allgemein in der Lippischen Landeskirche und in den Kirchengemeinden vor Ort, um deren Zukunft in Lippe zu gestalten?” So lautet die Fragestellung einer Bachelorarbeit, für die ich gebeten wurde, als Pfarrer in einer Kirchengemeinde eine Antwort zu formulieren.
Ich finde es eine gute, hilfreiche und notwendige Frage. In meinem Alltag in einer der kleinen lippischen Kirchengemeinde in einem Ortsteil von Lemgo wird sie vor allem von kirchlich Hochverbundenen gestellt und klingt dann so: Warum kommen immer weniger Menschen in die Gottesdienste und Gemeindegruppen? Und es mag wirklich helfen, zuerst dem Warum nachzugehen, um eine passende Antwort für die Aufgaben zu finden.

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Wenn immer weniger Menschen kommen, dann scheint es in den letzten Jahren ein zunehmendes Desinteresse am christlichen Glauben und kirchlichem Leben zu geben, dessen Folge ein Verlust an Wissen um die Bedeutung von biblischen Geschichten, evangelischen Liedern und kirchlichen Feiertagen gibt, was dann als Traditionsabbruch beklagt wird. So jedenfalls lautet die gängige Deutung, die ich als Erklärung höre.
Ich deute den Wandel aber eher als einen Verlust gesellschaftlicher Verbindlichkeit und sozialem Druck an den typischen und traditionellen Ritualen teilzunehmen, die wir aus der Zeit vor der Jahrtausendwende kennen. Das betrifft auch die Kirche, aber weniger die Verbindung zum Inhalt als zu ihrer sozialen Form.

In 32 Jahren Gemeindearbeit habe ich viele Erzählungen vieler Jahrgänge von Gold- und Diamantkonfirmationen gehört und dabei wahrgenommen: Das Interesse am Glauben war früher nicht größer als heute. Früher – also bis zum Ende des letzten Jahrtausends – bildeten die Kirche und das Gemeindeleben eine sehr verbindliche, soziale Klammer für das Zusammenleben vor Ort. Das Bedürfnis der Menschen nach Zugehörigkeit in der Parochie – also am Wohnort – wurde schlicht einheitlicher beantwortet als heute: Man sollte und wollte dazugehören zu dem, was vor Ort prägend und verbindend war. Dabei waren nette oder unsympathische Menschen, verständliche oder unverständliche Rituale, akzeptierte oder abgelehnten Inhalte weniger ausschlaggebend und weniger störend, als der schlichte Wunsch auch in der dominanten sozialen Einheit Kirche einen Platz zu haben.
Nun und mit dem Wegbrechen der herkömmlichen Institutionen als sozialer Klammer und mit der Erlaubnis zu mehr Individualität und Diversität wird nur sichtbar, wie wenig auch in der Kirche die Inhalte, Rituale und Traditionen prägen und verbinden.

Ich finde diese Analyse wichtig. Denn wenn sie stimmt, helfen weder immer mehr aktuelle und moderne Angebote noch auf Verschlankung zielende Strukturreformen für einen zukunftsoffenen Wandel der Kirche. Sie sprechen auch nicht dagegen. Gewiss, sie sind wichtig und richtig, aber sie lösen nicht das Grundproblem, wenn Kirche nicht mehr Volkskirche ist, sondern Kirche mit und für einzelne Menschen sein wird, die sich bewusst entscheiden müssen, Kirche zu bilden.

Das Schiff, das sich Gemeinde nennt“ (eg 604) wird nicht weiter der eine große Dreimaster oder das attraktive Kreuzfahrtschiff sein, an dem auch ich lange gearbeitet habe. Das erfordert einen Umdenkungsprozess – muss aber kein Verlust sein.
Es kann sehr erleichternd sein, nicht mehr das Image und den Verwaltungsbetrieb eines großen alten Schiffes aufrecht erhalten zu wollen. Das bedeutet aber auch Abschied zu nehmen von der Vorstellung, das jede Gemeinde sich als Mannschaft organisiert mit Kapitän, Offizieren und Matrosen, die Gäste befördern.

Ich denke die Zukunft der Kirche mittlerweile immer mehr als Verband aus „Optimisten“, also dem koordinierten Zusammenspiel jener Bootsklasse für Individualisten, die vor dem Wind Gottes segeln und als Schwarm zusammen agieren können. Da ist jede und jeder Christ selbst verantwortlich zugleich als Kapitän und Crew für das eigene Glauben. Und dass muss keine Vereinzelung bedeuten.
Auch kleine Schiffe können sich zu Schwärmen verbinden, harmonisch interagieren und wirksam zusammenwirken. Sie werden den eigenen Glauben nur nicht an Traditionen binden, sondern an die Fähigkeit, damit zu segeln.

Das ist an sich nicht neu. Das war schon Thema der Reformation, der Erweckungsbewegung und kann auch innerhalb eines Großseglers treibende Kraft sein. Die Kompetenz zu segeln, ist eben nicht an eine einzige Schiffsform gebunden. Kirche als Segelgemeinschaft ist nicht an die Struktur von Parochien und das Schiffsmodell von Großseglern gebunden. Kirche kann sich auch mit Individualisten ereignen. Und weil wir in einer Gesellschaft leben, die Individualität schätzt und fordert, sollten wir Kirche nicht gegen sondern in dieser Gesellschaftsform organisieren.

Dann lautet die Aufgabe:

Abschied nehmen von einem nicht mehr prägenden Bild von Kirche als Windjammer und uns über ein neues Bild verständigen, als Schwarm von kompetenten Optimisten und auch Hausbooten.
Um es mit Worten aus dem Vater unser zu sagen: Wir brauchen ein Bild von Kirche, dass unsere Alltagserfahrungen so aufnimmt, dass Gottes Wille nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden geschehen kann.
Wenn das Zusammenwirken von Optimisten, Hausbooten und anderen kleineren Schiffsklassen als Schwarm solch ein Bild ist, brauchen wir die Weitsicht, unsere Ressourcen heute so zu nutzen, uns mit möglichst vielen Menschen darüber auszutauschen, wie wir je einzeln lernen vor dem Wind Gottes zu segeln, uns zu Verbünden zu verbinden und als Schwarmintelligenz in der Welt wirken zu können.

Dafür mache ich drei Kernkompetenzen aus:

  1. Der Wunsch, Wille und die Übung derer, die Christen sind und sein wollen, mit dem Geist Gottes zu segeln.
  2. Die Fähigkeit der Mitarbeitenden wechselnde Bootsverbünde zu moderieren.
  3. Und die Kompetenz mit dem Geist Gottes eine Schwarmintelligenz zu entwickeln, die in der Welt und in die Welt hineinwirken kann.

Wenn wir uns ausrichten auf die Wirksamkeit des Glaubens nach Innen für jedes Gemeindemitglied in Verbundenheit als Kirche und nach Außen in die Welt, dann sollten wir unsere Strukturen nicht weiter auf den Erhalt der Flächenkirche mit der Fixierung auf die einzelnen Kirchtürme ausrichten, sondern auf die Unterstützung der einzelnen ChristInnen zum Segeln vor dem Wind Gottes und der Mitarbeitenden, zur geistlichen Moderation mit der Kompetenz Schwarmintelligenz zu fördern.

Das bedeutet auch:

  • Exnovation von Aufgaben, die dazu dienen ein Museumsschiff zu erhalten
  • Entlastung von Verwaltungsaufgaben, die “Körperschaften des öffentlichen Rechtes” erfordern, nicht nur durch wenige Großschiffe, sondern auch durch gezielte Kooperation
  • Und (dadurch) Kräfte freisetzen, um Freude am Segeln zu empfinden und sich auf gemeinsame Segeltouren einzulassen

Das bedeutet auch Trauerarbeit beim Loslassen, aber noch mehr Mut uns auf den Glauben einzulassen und die Vorfreude auf wunderbare Segeltouren – je einzeln und als Gemeinschaft.
Und um das mit zwei anderen Liedern aus dem evangelischen Gesangbuch auszudrücken: “Wir strecken uns nach dir” (eg 664) und “Vertraut den neuen Wegen” (eg 395).

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