Kirche neu denken II

Es ist nicht nur gut, sondern eine Grundvoraussetzung, ein Bild von Kirche beschreiben zu können, um sie neu denken zu können. Auf drei Fragen, die sich zu dem vorangegangenen Artikel ergeben haben, möchte ich hier eingehen. Kirche: Wieso neu? Wieso denken? Und wie schaffen wir die finanziellen Spielräume, damit neue Kirchengedanken Gestalt gewinnen können?

1. Wieso eine neue Kirche?

Kirche ist alt und das ist gut. Kirche hat eine lange Erfahrungsgeschichte und das ist ein Schatz. Aber wir sollen in der Kirche nicht die Asche bewahren, sondern das Feuer. Kirche soll lebendig sein. Und ein Merkmal von Leben ist die Fähigkeit, dynamische Prozesse zu stabilisieren, also alt und neu in Balance bringen.

Neu bedeutet nicht besser, sondern nur aktueller. Eine an die aktuellen, gesellschaftlichen Bedingungen angepasste Kirche ist nicht besser oder schlechter, sondern lebendig. Kirche und Kirchenformen haben sich schon immer gewandelt. Wenn “Traditionalisten” eine Kirchenform bewahren wollen, schützen sie das Vertraute. Wenn “Modernisten” sie verändern wollen, ermöglichen sie das Vermisste.

Die Bibel ist ein Dokument der Notwendigkeit theologischer Evolution. Sie erzählt, das Menschen lernen und was sie gelernt haben. Tradition entsteht aus Innovation. Gott zeigt sich jeder Generation neu und anders. Der theologische Spitzensatz der Gotteserkenntnis findet sich im 2. Mose 3, 14. Mose fragt Gott: Wer soll ich sagen, schickt mich, um das Volk aus der Sklaverei in die Freiheit zu führen? (Und dieser Kontext ist natürlich wichtig!) Und Gott antwortet, sage: Ich werde sein, als der ich mich erweisen werde. Gott beschreibt sich also nicht statisch, überweltlich und unveränderlich, sondern als dynamisch, lebendig und wirkend.

Kirche ist keine Neuerfindung, sondern erfindet sich immer wieder neu, solange sie mit Gott, als der Lebendigen unterwegs ist und ihren Auftrag in dieser Welt erfüllt, den Weg in die Freiheit zu gehen. Es ist dabei um so schmerzlicher, dass Jesus gerade von den Pharisäern und Schriftgeleehrten (aber nicht allen – Nikodemus ist so eine Ausnahme!), nicht (an)erkannt wurde. Gerade jene, die doch gottliebende Bewahrer der Tradition sein woll(t)en, haben Gott in ihm nicht erkannt.

2. Wieso Kirche denken?

Es gibt das grüblerische Denken, das Handeln scheut. Es gibt das verträumte Nachdenken, das nur zurückblick, und das ebenso verträumte Fantasieren, das sich aus der Welt flüchtet. Aber Gedanken können frei sein und befreien, ein Gedanke kann die Welt inspirieren und verändern. Kirche denken, bedeutet im neurologischen Sinne, Verknüpfungen von Erfahrungen herzustellen, kreativ sein und eine Grammatik für unser Verstehen von Gott in der Welt entwickeln.

Denkende Kirche soll nicht über die Welt grübeln, sich nicht aus ihr herausdenken, und nicht um sich selbst kreisen, sondern Wege ausdenken und beschreiben, die wir dann beschreiten. Das Denken soll vor Fehlern bewahren, aber ins Handeln führen.

3. Not-wendige finanzielle Spielräume

Sowohl das Bild “Kirche als Schwarm von Optimisten” und “Kirche als organisierte Anlegestelle und Hafenanlage für diese Boote” soll zunächst einmal nur inspirieren. Damit diese Gedanken aber nicht zu traumtänzerischen Wolkenkuckucksheimen degradiert werden, möchte ich auch auf das scheinbar etwas peinliche und verschämt oder vorwurfsvoll behandelte Thema Geld eingehen. Kirche hat Geld und Kirche braucht Geld, aber verdient sie es auch?

a. Kirche kostet Geld – sie muss re-finanziert werden.

Bislang geschieht das aus gutem Grund und segensreich aus ausreichenden Kirchensteuern, die ausgesprochen solidarisch nach dem individuellen Einkommen gesammelt und gleichmäßig verteilt werden. Wenigen ist bewusst, dass alle Kirchensteuer und auch von vielverdienenden Mitgliedern auf alle Kirchengemeinden verteilt werden und nicht in der Wohnortgemeinde bleiben. Alles kommt in einen großen Topf und wird dann an alle gleichmäßig verteilt. Das ist großartig und funktioniert solange, wie genügend Viele Kirchensteuer bezahlen und genügend Viel in den einen Topf hineinfließt.

Wenn das nicht mehr der Fall ist, werden Kirchengemeinden Lösungen finden müssen, ihre Ausgaben deutlich an sinkende Kirchensteuern anzupassen oder ihre Angebote auskömmlicher, also betriebswirtschaftlicher zu gestalten. Ich habe je länger je mehr Respekt gewonnen für alle UnternehmerInnen, die eben das schaffen: Eine Arbeit so zu vermarkten, dass die Einnahmen, die Ausgaben decken, Menschen zu einem auskömmlichen Broterwerb dienen und Investitionen ermöglichen.

Lasst uns mehr Sachverstand von familienbetriebenen MittelständlerInnen in unsere Kirchenvorstände zur Beratung und Mitarbeit bitten. Zum einen, um klug und verantwortlich die anvertrauten Kirchensteuermittel (Spenden) dort einzusetzen, wo sich Hilfe nicht rechnet und bewusst keine Überschüsse erzielt werden sollen. Aber auch, um Tätigkeiten zu entwickeln, die einen betriebswirtschaftlichen Mehrwert generieren (vgl. Der Mehrwert der Kirche).
Ich bin zum Beispiel sehr bewusst bei der DeBeKa krankenversichert, die wirtschaftlich auf Gegenseitigkeit ausgerichtet ist und deren Gewinne allen Mitgliedern zugute kommen – als geminderte Beitragssätze – statt sie als Renditen an die Besitzer auszuzahlen. Ich finde, wir können als Kirchengemeinde auch von Genossenschafften lernen.

b. Kundenorientierte Angebote versus Ladenhüter

Kundenorientierung wird in Kirche zuweilen abfällig betrachtet. Man sagt dann, Kirche soll nicht dem Zeitgeist verfallen, sie soll nicht populistisch sein oder marktschreierisch auftreten, sie soll auf Qualität achten und sich nicht verkaufen. Alles gut und richtig – aber wir sind auch keine Antiquitätensammler, die einen Laden hüten für eine sehr ausgesuchte Kundschaft. Und nicht jeder Kunde, der etwas Modernes sucht, ist ein Depp, der von niederen Instinkten geleitet nur für billigen Tand und teure Suchtmittel Geld ausgibt.
Ja, Kirche soll weder ihre Botschaft oder sich verkaufen, und Menschen nicht das Geld aus der Tasche ziehen, aber sie darf kundenorientierte Angebote vorhalten und so gestalten, dass Menschen bereit sind, dafür auskömmlich zu bezahlen.

Kundenorientierung ist bedarfsorientiert, bietet also eine Leistung an, die gebraucht und gewünscht wird. Und es gibt auch die Menschen, die qualitätsbewusst einkaufen – und zwar in allen sozialen Schichten. Die Frage, ob jemand bereit ist, Geld für eine Dienstleistung oder ein Angebot auszugeben, hängt immer von seinen finanziellen Möglichkeiten ab, aber auch von seinen Schwerpunkten und Interessen. Es gehört zur Würde eines Menschen, sich etwas zu gönnen. Das kann eine Spende sein, die den Geber mit Stolz und Genugtuung belohnt. Das kann Lebenszeit sein, die ich investiere oder verschenke, weil sie als Rendite auf mein Sinnkonto einzahlt. Und das kann auch eine kostendeckende Rechnung für ein Konzert sein, ein Restaurantbesuch, ein Kinoabend, eine Reise, …
Kirche sollte etwas anbieten, was für Menschen einen Mehrwert hat, und für das sie bereit sind, Geld oder Zeit aufzuwenden. Das kann sich durch ehrenamtliche Mitarbeit realisieren, durch Kirchensteuer und Spenden refinanziert sein, aber auch für ein Angebot, das sich rechnet – also betriebswirtschaftlich autonom kalkuliert wird.

Und vielleicht tut es uns gut, weniger aus Spenden zu arbeiten, und mehr im direkten Kontakt Angebote an einer Nachfrage auszurichten für die Menschen bereit sind, Geld auszugeben.

Kirche neu denken und dann Kooperationen eingehen und spezialisierte betriebswirtschaftliche Arbeitsfelder aufbauen … was würdest du gerne ausprobieren?

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