Ich habe mal ChatGPT gefragt: Was sind die zentralen, evangelischen Kernaussagen für das Christsein? Und ChatGPT hat durchaus sachlich kompetent geantwortet – aber auch langweilig und damit belanglos.
Was ist die theologische Idee deiner Kirchengemeinde? Hast du dich das mal gefragt oder jemand in deiner Gemeinde? Was würde die PastorIn oder ein Kirchenältester, eine GottesdienstbesucherIn oder KonfirmandIn antworten?
ChatGPT antwortet: “Die Grundprinzipien des evangelischen Glaubens sind die vier Soli und wurden von den Reformatoren im 16. Jahrhundert formuliert.
- Sola Scriptura: Die Bibel ist die einzige Quelle der Offenbarung Gottes und die Grundlage des Glaubens. Sie ist ausreichend, um das Heil zu erlangen, und bedarf keiner Ergänzung durch kirchliche Traditionen.
- Sola Fide: Der Glaube allein ist ausreichend, um das Heil zu erlangen. Der Mensch kann sich nicht durch gute Werke oder Verdienste erlösen, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus.
- Sola Gratia: Das Heil kommt allein durch die Gnade Gottes und nicht durch menschliches Handeln. Der Mensch kann sich das Heil nicht verdienen, sondern es wird ihm als Geschenk Gottes gegeben.
- Solus Christus: Jesus Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er ist der einzige Weg zum Heil und zur Erlösung.”
Ich vermute, dass du mir zustimmst: Das mag alles richtig sein, aber wer soll mit dieser Antwort getröstet und motiviert werden, sein Leben besser zu meistern als ohne?
Als Theologe kann ich die vier “soli” übersetzen, aber wenn ich es übersetzen muss, weil es sonst unverständlich bleibt, dann sollte ich gleich anders antworten.
Darum noch einmal die Frage:
Was ist die theologische Idee deiner Kirchengemeinde? Wofür steht sie und steht sie ein?
Es ist ja verständlich, dass theologische Fachleute nicht oberflächlich, unvollständig, angreifbar, … sondern tiefgründig, kompetent und vollständig antworten wollen. Aber in einer Zeit, da alle Grundannahmen angezweifelt und bestritten werden, begründen solch grundsätzlichen Fachantworten nichts – sie bieten einer Gruppe keinen Halt und sind als Fundament nicht spürbar.
Aber wehe, wenn dann die Sprachlosigkeit zur Vermeidungsstrategie wird, wenn nur noch moderne Allgemeinplätze ausgetauscht werden, wenn der Satz: “Ich finde aber” einen persönlich geerdeten Standpunkt ersetzt.
Aber wie dann?
- Ich werbe für den Mut, dogmatische Richtigkeiten zu lassen. Lieber nix sagen, als Allgemeinplätze herauspusten.
- Ich ermutige dich: Hör Menschen zu, die persönliche Erfahrungen erzählen und erzähle auch deine eigenen. Wie sagst du es, wenn du erzählen möchtest, dass du Gott erlebt hast, dein Gebet dich gestärkt hat, eine biblische Geschichte dir den Blick geweitet hat, du dich an Jesus orientiert hast, die Heilige Geistkraft dir einen Weg geebnet hat …
Wir brauchen weniger theologische Grundsätze aus der Reformationsgeschichte und mehr dem Leben im 21 Jahrhundert abgerungene Glaubenserkenntnisse.
Tatsächlich habe ich den Verdacht, dass nicht viele Menschen daran interessiert sind – ausserhalb und auch in der Kirche. Aber die Geschichten von Kain und Abel, von Jakob und Rahel, von Joseph und seinen Geschwistern, von Abram und Sarai, Mose und Miriam, von Ester und den Propheten, von Maria und Jesus, … die Geschichten der Bibel sind solche dem Leben abgerungene Glaubenserkenntnisse. Es lohnt sich, sie zu kennen, darüber zu reden und sie mit eigenen Erfahrungen ergänzt weiterzugeben.
Mich inspiriert die Idee, dass sich Kirchengemeinde dazu trifft, sich solche Geschichten von der Wirklichkeit Gottes mitten im Alltag zu erzählen, ob im Gottesdienst oder beim Gemeindeessen, im Gesprächskreis oder Aktionsbündnis, ob einmal in der Woche, einmal im Monat oder einmal im Jahr, ob als Institution des öffentlichen Rechtes, als Parochie oder Hauskreis, analog oder online – jedenfalls, um den Alltag damit besser zu bewältigen.