und das tun wir doch auch. Manchmal reden wir zu viel und zu lange, statt zu handeln. Und diese Art zu reden, bin ich müde und überdrüssig. Aber Reden kann Handeln initiieren und begleiten, damit das Handeln gelingt und zu den beabsichtigten Resultaten führt. Nun stehen in unserer Landeskirche die Klassentage, ein Neulandtag und die Frühjahrs-Synode an. Wir werden reden auch über Strukturfragen und das ist gut. Denn:
Wir müssen reden … über die Konsequenzen unseres Handelns.
Auch das tun wir. Aber häufiger reden wir nur über die erwünschten Konsequenzen unseres Handelns. Was ich mir wünsche, kann man leicht voraussagen. Und es klingt immer verlockend. Wir verabreden uns dann zu tun, was dem Frieden und der Freiheit und dem Wohlstand und der Gesundheit und allem, was erwünscht ist, dient.
Das klingt gut. Wenn Gespräche aber nur Wunschdenken widerspiegeln, gleichen sie eher Verkaufsveranstaltung mit Werbeversprechen oder Brauchtumssitzungen mit der Glaubensgewissheit, es hätt noch immer jot jejange. Mir fehlt dabei die ehrliche Analyse der erwartbaren Konsequenzen unseres Handlens.
Erwartbare Konsequenzen
Unser Handeln drückt sich gleichermaßen im Tun und Unterlassen aus. Und die Konsquenzen sind nicht immer abschätzbar, aber doch in erstaunlich großen Teilen: Wir wissen, wie die Naturgesetze funktionieren und bauen Maschinen, die sich zuverlässig so verhalten, wie wir es erwarten. Wir können Staus und das Wetter vorhersagen und sogar den Klimawandel und seine Auswirkungen. Die Folgen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Rohstoffen eines Diktators waren und sind absehbar. Und nicht erst jetzt, wenn alle schlauer sind, sondern schon vorher, wenn wir gemeinschaftlich ehrlich und bereit gewesen wären, genauer hinzuschauen. Es gab und gibt genug kluge Propheten.
Das betrifft auch die erwartbare Zukunft unserer Kirche und Kirchengemeinden. Darüber möchte ich reden. Ich bin überzeugt, wir sollten es auch tun. Ich meine sogar, wir müssen es tun: Miteinander ergebnisorientiert reden über die erwartbaren Konsequenzen, wie wir gegenwärtig Kirchengemeinde organisieren.
Erwartbare Konsequenzen unserer Organisationsform lippischer Kirchengemeinden
Die Organisationsform lippischer Kirchengemeinden scheint tagespolitisch von untergeordneter Bedeutung zu sein. Aber wie jede Grundlage hat sie auf absehbare Zeit gravierende Folgen. Ich bemühe einen Vergleich:
Wenn ein Hausdach brennt, rufe ich natürlich die Feuerwehr und nicht eine ArchitektIn. Aber wenn eine ArchitektIn vergessen hat, die Statik in die Planung einzubeziehen, wird das auch die Brandbekämpfung erschweren. Und spätenstens wenn eine Haussanierung notwenig wird, stehen nicht nur optische Interessen und Vorlieben zur Wahl, sondern sollte zuerst das Fundament geprüft und angepasst werden.
Unsere Kirchengemeinden sind vor allem um einen Kirchturm organisiert. Lippische Gemeinden sind im hohen Maße selbstständig, aber auch selbst für alle Aufgaben verantwortlich. Es gibt ein hohes Misstrauen vor der organisierten Zusammenarbeit und große Befürchtungen, dass auch Christen nur für das Wohl der “eigenen” Gemeinde sorgen wollen oder können. Ich sehe darin einen Schwachpunkt in der theologischen Statik.
Kipppunkte
Derzeit erleben wir gravierende gesellschaftliche Veränderungen. Immer wieder sprechen Fachleute von “Kipppunkten” an denen wir stehen. Die Weichen, die wir jetzt stellen oder eben auch nicht, beeinflussen massiv unseren zukünftigen Handlungsspielraum. Ich halte es für notwendig, einige Weichen für die Zukunft unserer Kirchengemeinden umzustellen. Was ich dazu vorschlage, hat einen konkreten Erfahrungshintergrund, den ich um der Transparenz willen zunächst kurz umreißen will. [Und den man auch getrost » überspringen kann :-]
Vorerfahrungen
Seit 30 Jahren bin ich Gemeindepfarrer. Ich darf Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen feiern mit Taufen, Trauungen und Beerdigungen. In diesen Gottesdiensten und in Alltagssituationen möchte und kann ich Menschen seelsorgerisch begegnen und unterstützen. Ich soll und darf KonfirmandInnenunterricht organisieren und durchführen und konnte ein altes Feuerwehrgerätehaus zum Jugendhaus umbauen.
Als Vorsitzender im Kirchenvorstand bin ich für Arbeitsrecht- und Sicherheitsfragen, Personal- und Finanzplanung, Gebäudeunterhaltung und die Kalkulation unserer Friedhofsgebühren zuständig. Zum Glück in einem Team! Ein Schwerpunkt bildet dabei die Trägerschaft unserer Kindertagesstätte ( früher Gemeindekindergarten genannt), die in wirtschaftlicher Hinsicht einem mittelständigen Unternehmen entspricht.
Um den Glauben ins Gespräch zu bringen, habe ich mit einem Team die Erlebnisausstellung Credoweg aufgebaut und dazu einen eingetragenen Verein gegründet. Auch hier geht es nicht nur um lebensfördernde Theologie, sondern auch um Kommunikation, Organisation, Versicherungen und Vereinsrecht, Hygienevorschriften und die Anforderungenen des TÜV.
Als Gemeindepfarrer bin ich in regionale Kirchenstrukturen eingebunden, beispielsweise um Veränderungen an Kirchengesetzen zu diskutieren und Vertretungsdienste zu regeln. Ich wurde in die Synode der Landeskirche gewählt und in die Kammern für Diakonie, für Öffentlichkeitsarbeit und den Ausschuss für Kirchentage. Vor fünf Jahren bekam ich einen befristeten Auftrag zur Nachwuchsgewinnung und habe in diesem Zusammenhang einen eigenen Stand auf der Berufsfindungsmesse entwickelt und zusammen mit dem leitenden Obmann für die GemeindepädagogInnen durchgeführt.
Derzeit bin ich im Leitungsteam des Erprobungsraumes Gemeinsamkirche und versuche eine Kooperation für Kindertageseinrichtungen aufzubauen.
Ich erwähne all das, um aufzuzeigen, wie ich als lippischer Pastor sowohl und unmittelbar mit den inneren Themen von Kirche beschäftigt bin, als auch mit der äußeren Struktur und den rechtlichen Rahmenbedigungen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Hier und Heute
Inzwischen bin ich 60 Jahre alt und habe sowohl die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 30 Jahre wie auch meinen konkret absehbaren Ruhstand vor Augen. Vor zehn Jahren brachte der Wechsel eines Pastors oder des Vorsitz im Kirchenvorstand noch kaum die Notwendigkeit systemischer Veränderung mit sich, weil die Strukturen so stabil (festgefahren) waren, dass ungeliebte Anpassungen leichter zu verschmerzen waren als strukturelle Veränderungen. Das hat sich grundlegend geändert und immer mehr Verantwortliche spüren das auch. Und dennoch ist die Versuchung groß, weiter die meiste Kraft dafür aufzuwenden, nur in den vertrauten Strukturen zu denken und sie zu erhalten. Das hat jetzt schon absehbare, unerwünschte Konsequenzen. Immer mehr ehren- und hauptamliche Mitarbeitende stehen unter einem wachsenden Druck. Das hängt an verschiedenen Faktoren und aktuellen Herausforderungen:
Faktoren und Herausforderungen
- Menschen haben schon immer und immer noch Fragen nach Gott und einem erfülltem Leben, aber stellen diese Frage nicht an die Kirche. Wohl aber in der Kirche – wenn sie dort vorkommen und wahrgenommen werden.
- Menschen schauen zunehmend besorgt in die Zukunft und suchen Sicherheit nicht in Institutionen, sondern bei überzeugenden Persönlichkeiten. Heute heißen diese Persönlichkeiten Influenzer und unterliegen viel stärker der medialen Vermittlung als noch vor 10 Jahren. Der Begegnungsort Familien- und Stammtisch verlagert sich immer mehr ins Internet.
- Menschen haben immer noch Interesse an Antworten und Formen des christichen Glaubens, aber sie überprüfen viel kritischer, ob der christliche Glaube und seine Rituale spürbar und alltagsrelevant sind.
- Menschen sind immer noch und sogar sehr bereit sich zu engagieren, wenn sie sich darin selbstwirksam erleben können. Zugleich steigt der Verantwortungsdruck auf ehrenamtliche Arbeit und es fehlt spürbar an qualifiziertem hauptamtlichen Nachwuchs, der Ehrenamtliche von diesem Druck entlasten können wird.
- Die Milleniumsgeneration bestimmt die Bedeutung von Lohnarbeit und wirtschaftlichem Wohlstand für sich neu und anders als die Generation aus den 50ziger und 60ziger Jahren. Sie sind immer noch und sogar sehr bereit, Lasten zu tragen und Verantwortung zu übernehmen, aber zugleich nimmt die individuelle Belastung für viele Menschen zu. Es braucht organisierte Formen der Entlastung. Auch, weil die Millenniumsgeneration einen höheren Wert auf Freizeit legt.
- Typische Bewältigungsstrategien vermeiden das, was Angst macht oder wählen das, was zukünftige Verbesserung verspricht – entsprechend wählen die einen eher Stabilität und die anderen eher die Veränderung. Schon die aktuellen und noch mehr die erwartbaren Herausforderungen bräuchten eine veränderte Struktur, die Sicherheit schafft und Lust auf die Zukunft macht.
- Die Identifikation mit einem Ortsteil und gemeinschaftsstiftendes Kirchturmdenken funktionieren in gleichförmigen Umgebungsverhältnissen gut – in Umbruchssituationen werden sie zur Falle, weil sie den veränderten Rahmenbedingungen nicht genug entgegensetzen können. Die gemeinschaftsstiftende Indentifikation kann sich aber auch an konkreten Lösungsstrategien etablieren, wie wir Gottes Auftrag erfüllen, dem Leben in Liebe zu dienen.
- In Umbruchssituationen wird mangelnde Veränderungsbereitschaft zum belastenden Nachteil und in belastenden Situationen wird Kooperation zum entscheidenenden Vorteil.
- Fusionen, die nur rechnerisch zusammenfassen, um Größe zu bewahren, scheitern. Kleinteiliges Nebeneinander, das eine Selbstständigkeit vortäuscht, welche substantiell gar nicht gegeben ist, verschleißt dringend gebrauchte Kräfte. Zusammenarbeit, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist, ist unbiblisch. Die biblische Sicht gelingender Kooperation beschreibt Paulus im 1 Brief an die Korinther in Kapitel 12: So sind wir nun viele Glieder aber ein Leib. Dieses Bild ließe sich auch auf das Zusammenwirken vieler Kirchengemeinden durch konkrete auch regionale Kooperation in einer verbindenden Landeskirche übertragen.
Zusammenfassung
Wir kommen aus einer Phase scheinbar unbegrenzter Resssourcen und wachsendem Wohlstand. Wir spüren aber, dass die äußeren Rahmenbedingungen uns nun Zurückhaltung und Vereinfachung abverlangen. Das betrifft auch die Kirche als Institution und die Kirchengemeinde vor Ort. Jede einzelne Kirchengemeinde ist Körperschaft des öffentlichen Rechts und unterliegt soziologischen, rechtlichen und theologischen Anforderungen.
Soziologisch bleibt die Bedeutung einer Kirchengemeinde, überzeugende Gemeinschaft sein zu können – aber unterliegt viel stärker dem Druck, auch wirklich überzeugen zu müssen.
Rechtlich werden europaweit immer mehr Detail- und Ausführungsbestimmungen in und für alle Organisationen geschaffen. Wir mögen die Regeln für den Krümmungsgrad einer marktkonformen Banane belächeln und den bürokratischen Aufwand verfluchen. Wir mögen die Vorherrschaft von Weltkonzernen beklagen und den Charme von Tante-Emma-Läden nostalgisch verklären. KleinunternehmerInnen ziehen sich immer mehr zurück. InhaberInnengeführte Geschäfte geben immer häufiger auf. Und auch Vereine kapitulieren vor dem Steuerrecht oder Sicherheitsbestimmungen. Verlässliche Kooperation schafft Freiräume.
Kooperation ist aber auch eine geistliche Herausforderung und eine theologische Aufgabe. Die paulinische Mahnung an die Korinther beschreibt eine Lösung: Uns in bunter Vielfalt aber gemeinsam zu organisieren und Herausforderungen durch kooperative Lösungen zu meistern.
Als Kirchengemeinde unterliegen wir denselben Gesetzen wie andere Organisationen und einer einfache Wahrheit:
Gute Strukturen helfen, entlasten und stützen;
schlechte Strukturen saugen Energie, behindern und werden zur Last;
und ob Strukturen gut oder schlecht sind, entscheidet sich an ihrer Wirkung.
Und deshalb müssen wir miteinander reden, wie und welche Strukturen tatsächlich unserem Auftrag dienen. Wir brauchen Phantasie und Mut, Neues zu denken, zu erproben und dann zu überprüfen. Wir brauchen VordenkerInnen und GestalterInnen, die gegenwärtige Strukturen reformieren wollen und konstruktive Gespräche führen. Wir brauchen eine Theologie, die nicht von schönen Verhältnissen schwärmt, sondern an Lösungen arbeitet. Deshalb will ich darüber reden, wie wir unsere Strukturen ergebnisorient verändern. Machst du mit?
Konkrete Beispiele für Kooperationsmöglichkeiten im Artikel » Kooperation
Zum aktuellen Hintergrund ein WDR-Artikel vom 12.04.2022
» Welle der Kirchenaustritte “wird Folgen haben”.