Corona hat uns herausgeworfen aus vielen vertrauten Vollzügen der institutionalisierten Kirche. Das tat und tut (in) der Kirche weh. Ich möchte daran nichts schön reden.
Doch zugleich nehme ich auch gute Erlebnisse wahr. Digitale Kirche, die oft noch als Verirrung der Moderne skeptisch beäugt wurde, erwies sich als Brücke zwischen Kirche und Gemeindegliedern – vor allem aber zwischen Gemeindegliedern als Kirche. Zum Teil nur mit den Hochverbundenen, die schon Erfahrung mit digitaler Kommunikation haben. Teilweise aber auch mit Interessierten, die den Weg in die Institution nur selten gehen, dafür aber digitale Kommunikationswege selbstverständlich pflegen und hier erreichbar sind. Und teilweise haben sich Menschen aus der Not heraus an digitale Formen gewagt – sowohl als Anbieter- und Nutzer*innen. Was folgt nun daraus?
Was lernen wir aus den Erfahrungen unter Covid-19 für unsere Kirche und Gemeindearbeit?
Viele realisieren, dass uns Corona noch lange herausfordern wird. Das ist eine erschreckende Erkenntnis. Aber es hilft ja nicht, die Augen davor zu verschließen. Es hilft auch nicht, jetzt alle Kräfte darauf zu konzentrieren, mit aufwendigen Hygienemaßnahmen nur möglichst viel vom Alltag vor Corona wiederherzustellen. Schon vor der coronabedingten Krise hat uns der bisherige Alltag dazu verführt, ihn aus Gewohnheit zu erhalten. Der Spatz in der Hand schien immer verlockender als die Taube auf dem Dach – und das, obwohl die Taube ein christliches Symbol für den Geist Gottes ist.
Falsche Alternativen lassen
- schnell zurück zum Alten – // – alles anders
- lokal – // – digital
- persönlich – // – Social Media
- Gemeindekirchturm – // – Landeskirche
Es hilft nun wirklich nicht, uns in solchem Gegeneinander zu erschöpfen und altvertraut, analog, lokal und innovativ, digital, regional gegeneinander auszuspielen. Angesichts der Fülle an Herausforderungen und schwindenden Ressourcen sollten wir fragen:
- Was sind die Vorteile des einen – und was die Vorteile des anderen?
- Was sind die Kosten / der Aufwand für das eine – und das andere?
- Lassen sich beide Formen synergetisch verbinden?
Und ich möchte dann vor allem zwei weitere Fragen ins Auge fassen:
- Antwortet eine konkrete Praxis auf ein echtes Bedürfnis – und wenn ja, von wievielen Menschen?
- Was gewinne ich, wenn ich etwas lasse?
- Wie stark fördert ein Angebot die Verbundenheit mit Kirche als Institution?
Erfahrungen können Wegweiser sein.
Wir können aktuell auf eine Fülle konkreter Erfahrungen zurückschauen und daraus lernen. Während pandemiebedingt viele erprobte Formen der Gemeindearbeit schlicht ausfielen, gab es teilweise schon gut vorbereitete Formen digitaler Kirche, auf die wir aufbauen konnten, oder improvisierte Formen, an die wir uns gewagt haben.
Dass dies so kräfteraubend war, liegt nicht an den Formen, sondern an der mangelnden Routine. Es wäre also das falsche Signal, die ersten Übungserfolge jetzt wieder zu lassen. Daran denke ich konkret:
Kirche.plus
Man kann es gar nicht genug wertschätzen, dass wir als Landeskirche mit Wolfgang Loest einen versierten Social-Media-Pfarrer überhaupt haben, die Synode schon eine Stelle eingerichtet hatte und fünf Gemeinden mit ihm einen Erprobungsraum konzipiert hatten.
Dank dieses Vorlaufes und dank der Innovationsbereitschaft der Beteiligten hatten wir punktgenau zum Lockdown ein Angebot, das viele aufgesucht und dann als Vorbild genutzt haben.
Mir persönlich gefällt besonders das Angebot Kirche.plus.Sport, weil es eine Form der Gemeindegruppe ist, die flexibel nutzbar und für die individuelle Lebensgestaltung verträglich ist. An dem Format “Kleine Zeit mit Gott” gefällt mir speziell, dass es mit den Erzählfiguren die besonderen Möglichkeiten eines Video nutzt, etwas in Szene zu setzen.
Kirche in Tüten und to go
In Lieme haben die Familien der Kinderkirche jetzt schon zweimal eine Mail bekommen mit der Einladung zur Kirche zu kommen und sich dort auf dem Rasen eine Tüte, mit einer Geschichte und einem kleinen Geschenk abzuholen. Ein Anlass zu einem Spaziergang zur Kirche und etwas zum Mitnehmen nach Hause.
Karfreitag, Ostern und Pfingsten gab es einen Stationenweg an der Kirche. Schilder mit Impulsen und einem Link zu einem erweiterten Impuls mit Musik, Text und Bildern für das Smartphone waren dank Freifunk auch direkt an der Kirche über das ganze Wochenende hin nutzbar. Zugleich war es ein Schritt hin zu dem Erprobungsraum Gemeinsamkirche.
Eine Lesepredigt auf Papier am Kirchtor mit dem QR-Code zu einer Webseite mit einem » Gottesdienst-Podcast zum selbst Zusammenstellen und Anhören war ein analoges Angebot, das digital sinnvoll ergänzt wurde.
Als mittels Hygienekonzept Präzenzveranstaltungen in der Kirche möglich wurden, haben wir Abendimpulse in der Kirche gefeiert und aufgezeichnet. Direkt im Anschluss hat die Predigerin vor laufender Kamera zwei Fragen zu ihrer Predigt beantwortet. Beides wurde dann » online gestellt. Ein Mehrwert für alle, die sich den Abendimpuls zeitversetzt (noch) einmal ansehen.
Der Schulabschluss der Viertklässler in unserer Grundschule wurde coronabedingt auf 15 Minuten outdoor au dem Schulhof konzipiert. Ich nutze meine 2 Minuten Redezeit, eine Karte mit einem kleinen Geschenk und einem QR-Code zu verteilen. Auf der entsprechenden Webseite erläutere ich das Geschenk in einem 6 Minutenfilm im Talar aus unserer Kirche. Zugleich habe ich auf dieser Webseite das Video zum Gottesdienst von unserem Schulpfarrer eingebettet.
Ich finde gerade diese “hybriden” Angebote zukunftsweisend, weil sie analoge Präsenz und digitale Kommunikation verbinden. Ebenso finde ich es zukunftsweisend, wenn sich ein überregionales Angebot und die Indentifizierung mit dem eigenen Kirchturm ergänzt.
Service statt Konkurrenz
Gerade diesen Aspekt möchte ich besonders aufgreifen. Zusammenarbeit, die sich zuarbeitet und ergänzt, ist smart and beautiful. Sie erlaubt, Professionalität und Arbeitsökonomie zu verbinden. Sie fördert eine bunte Vielfalt und hilft, Überlastung zu vermeiden. Gerade eine kleine Landeskirche mit vielen kleinen Gemeinden kann durch eine serviceorientierte Zusammenarbeit punkten und viel erreichen. Regional und lokal können sich wunderbar ergänzen, wenn wir beide Qualitäten konzeptionell bewußt berücksichtigen. Digitale Technik ist dabei ein hilfreiches Werkzeug und Medium. Die benannten Erfahrung mit kirche.plus, dem Schulreferat und der Gemeinsamkirche ermutigen mich.
PDF-Download: Digitale Verkündigungsformantewährend der Corona-Krise
Eine Ad-hoc-Studieim Auftrag der EKD von der Midi [mi-di.de]
Eine Antwort auf „Erfahrungen nutzen“