Deine gesamte Ausrüstung und all dein handwerkliches Foto-Wissen dienen am Ende dazu, dass du eine Idee umsetzen kannst und deinen eigenen Stil entwickeln bzw. weiterentwickeln kannst. Um eigene Ideen zu entwickeln und umsetzen zu können, brauchst du Übung und Erfahrung.
Ein gutes Foto setzt ein Motiv ins Licht und ist zuerst einmal technisch in Ordnung. Das bedeutet Helligkeit, Kontrast, Schärfe und Farben stimmen. Ein interessantes Foto wiederholt nicht einfach die Wirklichkeit, sondern macht eine Aussage. Es zeigt den Betrachtenden einen Moment, bevor er vergeht, ein Detail, das ich sonst übersehe, oder eine Perspektive, die ich normalerweise nicht einnehme oder einnehmen kann.
Ein bedeutsames Foto ist handwerklich stimmig und interessant. Es bildet nicht einfach ab, sondern macht etwas sichtbar, es hat eine künstlerische Aussage.
Eine gute Kamera macht nicht das Foto für dich, sondern gibt dir die Stellschrauben in die Hand, damit du dein Foto machen kannst. Du kannst das vorhandene Licht nutzen bzw. auf das richtige Licht warten oder auch das Licht setzen und die gewünschte Farbtemperatur einstellen. Mit dem entsprechenden Objektiv und Standpunkt wählst du einen Ausschnitt und erzeugst eine bestimmte Bildwirkung. Mit dem Fokuspunkt und großer Blende hebst du ein Motiv von der Umgebung ab.
Was jetzt noch deine Aufmerksamkeit braucht, ist der Aufbau um das Motiv herum, die Komposition durch Vorder- und Hintergrund, Linien im Bildaufbau, eine Perspektive und Blickrichtung … Setzt du sie bewusst ein, löst du dich damit immer mehr von dem Ansatz, mit einem Foto etwas abzulichten und möglichst naturgetreu abzubilden, hin zum wirklichen fotografieren als einer eigenen Bildaussage.
Ein Bild entsteht im Kopf
Wenn zwei Menschen zur selben Zeit am selben Ort in dieselbe Richtung schauen, sehen sie trotzdem immer etwas Unterschiedliches. Das Bild entsteht bei uns Menschen nicht im sprichwörtlichen „Auge des Betrachters“, sondern im Kopf. Was unser Auge „sieht“ (unsere Optik) wird über den Sehnerv (Datenleitung) in das Sehzentrum unseres Gehirns (Datenverarbeitung) gelenkt und dann aufgrund unserer Erfahrungen und momentanen Zustandes interpretiert = von unserem „inneren“ Auge gesehen.
Du gehst auch beim Fotografieren diesen Prozess entlang. Aber durch dein Können und dein Zubehör erschaffst du nun ein Bild als ein eigenständiges Werk. Die Betrachtenden sehen wiederum dein Bild und können mit diesem Bild nun ihren eigenen Prozess des Sehens durchlaufen. Es entsteht eine eigene Art der Kommunikation und die sagt oft „mehr als tausend Worte“.
Fotografieren bedeutet, etwas zu einem Bild zu machen, was gerade du (mit deinem inneren Auge) siehst oder erst sichtbar machen willst. Du machst mit deinem Bild eine Aussage, du komponierst ein Bild.
Das Motiv selbst, Licht und Schatten, Farben und Farbtemperatur, Bildwinkel und Tiefenwirkung, Schärfe und Unschärfe, Helligkeit und Kontrast, sind dabei nicht nur technische Stellschrauben sondern auch Stilmittel.
Ein Bild ist komponiert
Weitere Stilmittel, die deine Bildaussage unterstützen, wenn du sie bewusst einsetzt, –
aber auch (zer)stören können, wenn du sie übersieht oder vernachlässigst, sind:
- Der Bildausschnitt
- Vorder- und Hintergrund
- Sichtachsen und Bilddiagonale
- die Perspektive und Blickrichtung
- inspirierende (oder ablenkende) Nebensächlichkeiten
„Vordergrund macht Bild gesund.” Ein Stein oder Baum, ein Zweig oder Hinterkopf vor dem Motiv verleiht dem Bild Tiefe und räumliche Ausdehnung. Der Hintergrund, ob nun scharf oder verschwommen, stellt das Motiv in einen Zusammenhang oder hebt es davon ab.
Ein Weg, eine Fußspur, die Kammlinie einer Düne, die Reihenfolge von Bäumen lenken den Blick der Betrachtenden auf ein Motiv hin.
Ein hoher Standpunkt (Vogelperspektive) lässt das Motiv kleiner und niedlicher wirken, ein tiefer Standpunkt (Froschperspektive) lässt das Motiv größer, erhabener oder bedrohlicher wirken.
Ein Fensterrahmen oder eine Hecke, eine Häuserecke oder Menschenmenge verstärken den Eindruck, dass ich Zuschauer bin. Eine Balkonkante oder Grasnarbe schaffen Distanz oder Nähe.
Eine bunte Jacke an der Garderobe, ein Besen im Schaufenster, ein Koffer auf dem Bahnsteig können einen Bildausdruck verstärken oder auch kontrastieren. Ein Stehrümchen, das einfach vergessen und nicht weggeräumt wurde, kann dagegen eine Bildaussage stören, abwerten oder sogar zerstören.
Natürlich kannst du einfach auf ein Motiv draufhalten ohne Rücksicht auf das Umfeld, die Einzelheiten und den Bildaufbau. Mit viel Glück entsteht ein gelungener Schnappschuss. Mit großer Wahrscheinlichkeit entsteht aber nur ein beiläufig geknipstes Bild, das kein Interesse weckt. Auch ein technisch perfektes Foto, gestochen scharf bis in den Bildrand, ausgewogen belichtet und in der höchsten Auflösung bleibt langweilig und bedeutungslos, wenn du die Bildkomposition vernachlässigst.
Du schulst deinen Fotografierblick, indem du ein und dasselbe Motiv immer mal wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen aufnimmst also komponierst und hinterher betrachtest. Welche Anordnung und Details unterstützen deine Bildaussage und was stört oder lenkt ab?
Fotografiere ein Motiv mit unterschiedlichen Brennweiten, Blendenwerten und Belichtungszeiten aber auch von unterschiedlichen Standpunkten, Perspektiven und mit unterschiedlichen Bildausschnitten,
setze Reflektoren und verschiedene Lichtsetzung ein,
nutze verschiedene Vorder- und Hintergründe,
mit viel oder wenig Deko und in einem (un-)aufgeräumten Set,
und vergleiche anschließend die jeweilige Bildwirkung.
Diese Übungs-Erfahrung hilft dir, um alle Werkzeuge besser einschätzen zu können.
Du entwickelst deine eigene Art (Kunst)
Die resultierende Erfahrung wird dazu führen, dass du Vorlieben entwickelst und Sichtweisen vertiefst.
Du lässt dich mehr und mehr nicht von der technischen Herausforderung lenken, sondern nutzt die Möglichkeiten in deinem eigenen Sinne, auf deine eigene „Art“ zu fotografieren und entwickelst deinen eigenen Stil.
Du kannst deine Erfahrungen nutzen, um ein vorhandenes Motiv / Situation genau so
abzubilden, wie du es sehen möchtest. »
« Du kannst dir auch ein Bild vorstellen
und daran arbeiten, diese Vorstellung zu verwirklichen und
dafür Vorder- und Hintergründe, Motive und Situationen auswählen oder komponieren.
Versuche nicht Regeln zu befolgen, um etwas „richtig“ zu machen, sondern nutze sie, um an ihnen zu üben. Und dann geh weiter: Stell deine Ausrüstung, dein Wissen und deine Erfahrung immer mehr deiner Intuition und deinen Vorlieben zur Verfügung. Trau dich, die Welt auf deine Weise zu sehen und zu zeigen.
Theologische Einsicht
“Das Senfkorn ist das kleinste aller Samenkörner. Aber wenn eine Pflanze daraus gewachsen ist, ist sie größer als die anderen Sträucher.” Die Bibel: Matthäus Kapitel 13, Vers 32
Achte Kleinigkeiten nicht gering, sondern beachte die Kleinigkeiten, die ein großes Potential haben.